Eine früh verstummte Dichterstimme

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ochim1103
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Eine früh verstummte Dichterstimme

Beitrag von ochim1103 »

Vor fast 100 Jahren wurde Kubi Wohl geboren
Claus STEPHANI

Am Rande der Ostkarpaten, in den Wäldern, die auch heute noch bis zur Goldenen Bistritz reichen, einem Gebirgsfluss, nach dem ein malerisches Tal seinen Namen erhalten hat, liegt der Weiler Zibau (rum. Tibau). Und hätte hier nicht vor rund 90 Jahren ein jiddisch und deutsch schreibender Dichter das Licht der Welt erblickt, würde sich heute niemand mehr an diesen kleinen vergessenen Ort erinnern, der immer noch auf dem Fahrweg kaum zu erreichen ist.
Als Kubi Wohl am 31. August 1911, als Sohn des Sägewerkbesitzers Elias Wohl geboren wurde, gehörte noch die multiethnisch und multikulturell geprägte Bukowina zur k.u.k. Monarchie, und in Zibau lebten damals Juden, Deutsche (Zipser), Ukrainer (Huzulen) und Rumänen, wobei die Umgangssprache der Einwohner im Tal der Goldenen Bistritz vorwiegend ein dialektal gefärbtes Deutsch war.
„Die meisten Zipser waren Waldarbeiter und Flößer, die Juden hingegen verdienten als Fuhrleute und Handwerker ihr Brot, und die Rumänen und Huzulen waren Hirten und Bauern“, erinnerte sich die Schwester des Dichters, Dr. Klara Wohl, bei einem Gespräch am 16. Juni 1995 in Haifa. „In Zibau hatte die Familie Wohl eine soziale Sonderstellung – sie hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht, stammte aus der Nordbukowina, wohin sie wahrscheinlich aus Galizien zugewandert war –, und diese Sonderstellung war schon durch die Sprache, unsere Muttersprache gekennzeichnet (...) In unserer Familie wurde ein gepflegtes Hochdeutsch gesprochen (...). Deutsch war in jenem kleinen karpatischen Dörfchen unsere Mutter- und Haussprache, während die deutsche Bevölkerung durchwegs zipserisch sprach und zum Großteil auch kaum eine deutsche Schulbildung erhalten hatte.“

In der bukowinischen Kleinstadt Kimpolung (Cîmpulung Moldovenesc), wo die Familie Wohl nach 1918 lebte – Elias Wohl leitete weiterhin das Zibauer Sägewerk – schrieb Kubi 1919 im Alter von acht Jahren „sein erstes vierzeiliges Gedicht, ein kleines Meisterwerk; er widmete es einem siebenjährigen Mädchen, das jahrelang sein empfindsames Gefühlsleben beherrschte. Mein Bruder war ungewöhnlich begabt – nicht nur als Lyriker, sondern auch als Musiker und Interpret“, erzählte Klara Wohl. Als er vierzehn war, entstand das Drama in vier Akten aus dem chassidischen Leben, „Der Baal-Tschiwe“, das er in jiddischer Sprache verfasste, obwohl er sonst dem deutschsprachigen Kulturkreis angehörte.
Damals begann das, was später als „Spießrutenlaufen durchs Kimpolunger Spießertum“ bezeichnet wurde: Kubi Wohl, ein erst vierzehnjähriger Autor, wurde von zahlreichen Neidern und besonders von seinen Lehrern „öffentlich belacht und verspottet, denn nach kleinbürgerlichen deutsch-jüdischen Maßstäben hatte ein Junge in seinem Alter die Schulbank zu drücken und das zu tun, was Eltern und Lehrer vorschrieben, keineswegs aber durfte er sich als Musiker, Dichter oder gar als Dramaturg betätigen. Bekanntlich wird jemand, wenn er den Gleichschritt der Herde stört, verstoßen...,“ erinnerte sich die Schwester des Dichters. So musste Kubi Wohl bald das Kimpolunger Gymnasium verlassen, um sich dann am Czernowitzer Gymnasium „umzuschulen“, wonach er schließlich in Wien die Matura (Reifeprüfung) ablegen konnte. Wieder in Czernowitz war sein Weg als Sympathisant linker revolutionärer Kreise vorgezeichnet. In scharfen sozialkritschen Gedicht sagt er der bürgerlichen Klassengesellschaft den Kampf an. Die meisten dieser Gedichte erschienen in der bekannten Tageszeitung „Czernowitzer Morgenblatt“ sowie in den jiddischen Zeitungen „Czernowitzer Bletter“ und „Oifgang“ –, wonach ihn dann „die öffentliche Meinung“ ausgrenzte und ins soziale Abseits drängte. In seinem credohaften Poem „Präludium“ heißt es: „Eiserne Verse will ich verfassen, / Schwerter dem Kampf geweiht, / ich will sie erglühen in glühendem Hassen, / schmieden unter dem brausenden Blasbalg der Massen / und hämmern am Amboß der Zeit.“
In einem Brief an den Schriftsteller Alfred Margul-Sperber vom 8. Januar 1933, dem er auch den bekannten Gedichtzyklus „Kinder klagen“ beilegte, berichtete der Dichter über seinen Alltag in Czernowitz, wo er „wie ein armer Prolet“ am Rande der Gesellschaft um seine Existenz kämpfen musste: „Ich führe hier ein sehr ruheloses Leben. Wohin ich mich wende, erwarten mich Enttäuschungen, Pech und Ignoranz der Menschen. Was ich in den letzten drei Wochen hier erlebt und erlitten habe, kann man nicht so leicht erzählen! Auf der Suche nach Menschen und nach Brot findet man sich dann abends ohne beides, allein und wund...“
Die Landschaft am Rande der Karpaten, aus der Kubi Wohl kam, die österreichisch geprägte Bukowina war einst „ein großes Haus, in dem verschiedene Völker friedlich beisammen lebten“. Von hier ging eine Reihe elitärer Namen deutscher und jiddischer Dichtung den langen Weg hinaus in die Welt, so z.B. Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Selma Meerbaum-Eisinger, Itzig Manger u.a.
„Wie ein trauernder Wanderer, / ein todverkündendes Bild, / ist der Herbst gekommen / in Lumpen gehüllt“, schrieb der Dichter, als ihn der letzte Herbst erreichte und er mit 24 Jahren verstummte, während „fern die Horizonte schwarz und nah“ das kommende Unheil der Barbarei in Europa bereits ankündigten. Er starb an einer Grippe einsam und verarmt am 27. Dezember 1935 in Czernowitz. Doch an seinem Grab hatten sich zum Abschied auch viele Freunde und Bewunderer eingefunden: Schriftsteller und Journalisten, Juden, Deutsche, Rumänen, darunter der bekannte Publizist S. A. Soifer, der später von den Nazis grausam ermordet wurde, der linke Revolutionstheoretiker Muniu Fried-Weininger, den die rumänische Polizei am Friedhof verhaftete u.a.; die Nachrufe der Redner in jiddischer, deutscher und rumänischer Sprache dauerten von mittags bis spät in die Dämmerung.

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Veröffentlicht aus http://david.juden.at/<a
Mit freundlicher Genehmigung
Claus STEPHANI: Eine früh verstummte Dichterstimme. Vor 90 Jahren wurde Kubi Wohl geboren.

In: Jüdische Kulturzeitschrift DAVID, Heft Nr. 51 - Dezember 2001, http://davidkultur.at/artikel/eine-fruh ... hterstimme
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